Dänemark ist nicht nur Kopenhagen oder windige Nordsee – eine Vielzahl schmucker Inseln gehören zum Königreich zwischen Mittel- und Nordeuropa. Eine von ihnen, Ærø, möchte nun als Musterbeispiel für eine grüne Wirtschaft Karriere machen – und auch der ÖV trägt seinen Teil dazu bei.
Ein Bericht von Jonas Schaufelberger (Text und Fotos).
Rund 70 bewohnte Inseln gehören zum Land Dänemark – die autonomen Inselstaaten Grönland und Färöer nicht mitgerechnet. Einige davon, wie Sjælland (Seeland) mit der Hauptstadt Kopenhagen, zählen zu den am dichtesten besiedelten Gegenden Nordeuropas, andere zählen nur einen einzigen Einwohner. Viele von ihnen sind heute mit Brücken oder Dämmen ans Festland (oder an grössere Inseln) angebunden, andere nach wie vor über Fähren. Auch die Geschichte der Inseln ist sehr unterschiedlich. Ærø ist – abgesehen vom vor Schweden gelegenen Bornholm – die einwohnermässig grösste Insel ohne direkte Strassenanbindung zum Festland, und konnte wohl nicht zuletzt auch deshalb ihren ländlichen Charakter bewahren. Nun baut sie sich ihren Ruf als «grüne Insel» auf – auch der öffentliche Verkehr wird seinen Beitrag dazu leisten.
Lebensader Fähre…
Die Stadt Marstal auf der Insel Ærø, vor der Trockenlegung des Marschlands Gråsten Nor 1856 auf einer separaten (aber bei Ebbe mit Ærø verbundenen) Nachbarinsel gelegen, hat eine jahrhundertealte Seefahrertradition – die Anbindung der Insel an die restliche Welt war also technisch unproblematisch. Politisch gehörte Ærø lange Zeit zum Herzogtum Schleswig und gelangte erst 1864 direkt zum dänischen Hoheitsgebiet. Somit war eher die geographische Nähe der Hauptgrund dafür, dass die erste fahrplanmässige Postbootverbindung ab Ærø 1810 nach Svendborg auf Fünen führte – Ausgangspunkt auf Ærø war das Städtchen Ærøskøbing, etwa mittig auf der heutigen Insel am Nordufer gelegen.
1903 startet eine zweite regelmässige Fährverbindung ab Søby im Westen der Insel nach Fåborg auf Fünen, welche auf ihrer Strecke weitere, kleinere Inseln anfährt. Betreiber ist die «Dampskibsselskabet Ellen» mit dem gleichnamigen Schiff – der Name wird bis heute für Fährschiffe nach Ærø verwendet, wenn auch nicht mehr als Firmenbezeichnung. Später entstehen die weiteren heute gebräuchlichen Fährrouten Mommark–Søby (womit seit 1961, nach mehreren kurzlebigen Versuchen, durchgehend auch die Insel Als und somit über die Alssund-Brücke Südjütland direkt angebunden ist) und Rudkøbing–Marstal, die direkte Verbindung zur grösseren Nachbarinsel Langeland, welche ursprünglich eine Fortsetzung der Route Svendborg–Rudkøbing war.
Die einzelnen Fährlinien stehen in teilweise direkter Konkurrenz zueinander, was mit der Zeit zu Betreiber- und Streckenwechseln in teils rascher Folge führt. 1985 wird schliesslich Det Ærøske Færgetrafikselskab (DÆF) gegründet, welche sogleich den Betrieb (aber vorerst nicht die Fähren) der Routen nach Svendborg und Rudkøbing übernimmt; 1995 folgt die Route von Søby nach Faaborg. 2002 wird die Firma in «Det Ærøske Trafikselskab» umbenannt; seit der Gemeindefusion in 2006 gehören die Fähren direkt der Gemeinde Ærø und werden von der Ærøfærgerne A/S betrieben (wobei der Name davor bereits während langer Jahre als «Brand» für die Fähren verwendet wurde). Das Netz bleibt allerdings unbeständig: 2009 wird Mommark auf Als durch den näher gelegenen und besser an die Strasse angebundenen Hafen Fynshav abgelöst, und 2013 gegen grossen Protest die Strecke nach Rudkøbing abgeschafft.
…und stiefmütterlicher Busbetrieb
Die Verbindungen ab den Hafenstädtchen Ærøskøbing, Søby und Marstal zu den kleinen Dörfchen im hügligen Landesinnern wurden einst durch Postkutschen sichergestellt, welche im frühen 20. Jahrhundert schrittweise auf Automobil umgestellt wurden. Ein gewisser Hermann Gehring nimmt ab 1924 den eigentlichen Linienbusbetrieb in Konkurrenz bzw. Ergänzung zu den Postbussen auf, wobei später auch Postlinien als Fahrzeughalter übernommen werden.
Im Jahr 1940 wird die private Firma – vermutlich auch wegen der kriegsbedingt schlechten Wirtschaftslage – durch die damals noch sieben Gemeinden übernommen und in «De Ærøske Kommuners Rutebiler» umbenannt. Bis 1950 werden sukzessive die weiteren Postlinien von den früheren privaten Postbushaltern übernommen, womit seither der ganze Linienbusverkehr auf der Insel in öffentlicher Hand ist. Das Liniennetz entspricht im Wesentlichen dem heutigen, mit der Hauptlinie von Marstal über Ærøskøbing nach Søby und Lokalkursen von Marstal nach Ommel.
Daran ändert sich, abgesehen von regelmässigem Ersatz der Fahrzeuge, über lange Jahre kaum etwas. 2002 wird die Firma umbenannt in Ærø Bus A/S, wobei nach wie vor die Gemeinden (nach einer Reform 1970 nur noch Marstal und Ærøskøbing) Besitzer sind – 2006 fusionieren diese im Rahmen der nächsten Verwaltungsreform zur Inselgemeinde Ærø.
Strukturreform zwingt zu Vorwärtsstrategie
Der Verwaltungsreform folgt 2007 eine ÖV-Strukturreform, indem in den einzelnen Regionen neue ÖV-Gesellschaften gegründet werden. Ærø wird Teilhaber und Teil des Perimeters von FynBus, einer öffentlich-rechtlichen Behörde, welche das ÖV-Angebot auf Fünen plant, tarifiert und kommuniziert. Die Finanzierung der überkommunalen Linien geht ebenfalls an die neue Gesellschaft über, während kommunale Linien weiterhin von den Gemeinden bestellt und finanziert werden. ÖV-technisch erweist sich die Fusion zu einer einzelnen Inselgemeinde somit rasch als Nachteil, ist doch die Finanzierung des Bus-Angebotes auf der Insel alleinige Sache der Gemeinde, während die Einnahmen über den Tarifverbund von FynBus abgerechnet werden.
Prompt steigen die Kosten für die Gemeinde stark an, und 2009 kommt es zu heftigen Diskussionen. Die Gemeinde fordert, dass die Region diejenigen Fahrten mit Fähranschluss – also quasi die Direktverbindungen aus den Dörfern nach Fünen und Als – neu selbst finanziert, was in dieser Form am Ende nicht umgesetzt wird. Im Rahmen eines Kompromisses wird dafür das Angebot ab 2011 gestrafft: Die bisherige Lokallinie von Marstal nach Ommel wird durch einen (geschlossenen) Schulbus und ein Ruftaxi ersetzt, das auch andere Weiler abseits der Hauptstrasse bedient; die schwächstfrequentierten Taktabfahrten auf der Hauptlinie fallen weg, und weitere schwache Kurse werden neu mit Kleinbussen bedient.
Gleichzeitig werden die Buslinien auf Ærø erstmals öffentlich ausgeschrieben – die gemeindeeigene «Ærø Bus» soll danach verschwinden, wie dies im Rahmen der landesweiten ÖV-Strukturreform schon mit zahlreichen kleineren Betrieben auf den grösseren Inseln und in Jütland geschehen ist. Die Ausschreibung gewinnt (einigermassen überraschend) die lokale Ærø Turistfart, ein Reiseunternehmen im Besitz von Jesper Jensen, genannt «Jesper Bus».
Noch wirksamer als der Auftritt eines lokal verankerten und motivierten Unternehmers ist aber der Entscheid der Gemeinde, den ÖV zukünftig gratis anzubieten – das Geld für den ÖV wird dafür direkt von der Gemeinde an FynBus bezahlt. Das erweist sich, zusammen mit dem Ruftaxi, als erfolgreich punkto Nachfrage, zahlt sich aber finanziell am Ende nicht aus. Per 1. Januar 2015 wird der Rufbus wieder eingestellt; Für Ommel bleiben dadurch noch 4 wöchentliche ÖV-Fahrten (je zweimal am Dienstag und Donnerstag). Hingegen werden für den Linienverkehr erstmals sparsame Neufahrzeuge vom Typ Iveco Crossway 12 beschafft, welche die Treibstoff- und somit auch die Betriebskosten gegenüber den bisherigen Occasionsfahrzeugen deutlich reduzieren.
Im Jahr 2016 trat schliesslich die Gemeinde Ærø aus dem FynBus-Perimeter aus. Zuvor war eigens eine Gesetzesänderung notwendig, die es Gemeinden ohne direkte Strassenanbindung ans «Festland» erlaubt, nicht Teil eines regionalen ÖV-Verbundes zu sein. Mit der direkten Übernahme entfallen für die Gemeinde die Administrationskosten und die Ersatzzahlungen für die «Gratistickets» an FynBus – nun dürften tatsächlich alle Einwohner und Touristen jederzeit in die Linienbusse einsteigen und gratis mitfahren, ohne fiktive Gratis-Billets. Der durchgehende Stundentakt von früh bis spät dient dazu, dass dieses Angebot auch aktiv genutzt wird: Die Zahl der jährlichen Fahrgäste ist von 50’000 im Jahr 2010 auf inzwischen über 270’000 pro Jahr im 2019 angestiegen; auf stark frequentierten Kursen sind zusätzliche Beiwagen notwendig.
Private helfen mit
Ganz alleine ist die Gemeinde allerdings für den Insel-ÖV nicht zuständig. Die Einstellung der Fährlinie nach Langeland im Jahr 2013 führte zur Gründung der privaten ÆrøXpressen A/S, welche 2019 mit einer neu gebauten Fähre den Verkehr zwischen Marstal und Langeland wieder aufgenommen hat. Damit ist auch die dritte «Stadt» auf der Insel wieder direkt ans Fährnetz angebunden, wobei die Hauptroute nach wie vor Ærøskøbing –Svendborg mit annähernd stündlichen Abfahrten bleibt – es ist auch die einzige Linie, welche von gleich zwei Fähren bedient wird.
Grüne Insel – auch beim öffentlichen Verkehr
Parallel zum Ausbau von Bus- und Fährangebot wird der öffentliche Verkehr auch technisch weiterentwickelt. Die Vision, die Insel Ærø zur grünen Insel zu machen, führte zum Projekt einer Elektro-Fähre. Das Projekt wurde von der EU mit 21.3 Millionen Franken «anfinanziert» und diente zusätzlich auch als «Anschubhilfe» für die jahrhundertealte, aber in den letzten Jahren stark geschrumpfte Werftindustrie auf der Insel, wurde doch die Fähre in der Werft Søby geplant und 2016 endmontiert. Seit 2016 fährt das Schiff auf der Fährstrecke Søby–Fynshav und verursacht dort bis zu 75% tiefere Betriebskosten als ein vergleichbares Diesel-Schiff; Geladen wird die Fähre jeweils am Hafen Søby während der 20-30-minütigen Aufenthalte, während in Fynshav «kurzgewendet» wird. So sind sechs tägliche Überfahrten in beide Richtungen möglich.
Das «Ærø EnergyLab» als zuständige Gemeindebehörde für nachhaltige Energie geht davon aus, dass die höheren Anschaffungskosten in spätestens 8 Jahren amortisiert sein werden – bei zukünftigen E-Fähren dank bereits vorhandener Lade-Infrastruktur sogar bereits in 4 Jahren. Die Anschaffungskosten werden zukünftig etwa 15-20% über denjenigen eines Diesel-Schiffs liegen, da die hohen für die «Ellen» notwendigen Entwicklungskosten zukünftig entfallen werden.
Ursprünglich ab 2022 sollten auch Busse die Infrastruktur am Hafen von Søby mitnutzen, sollte doch ab diesem Zeitpunkt die Hauptlast des Inselbusses auf elektrischen Betrieb umgestellt werden. Allerdings zeigte sich, dass die Umstellung – für die Einhaltung der Ladezyklen würde mit der heutigen Technologie noch ein drittes Fahrzeug benötigt – eine wesentliche Angebotsanpassung darstellt und eine Ausschreibung des Linienverkehrs mit sich bringt, weshalb man sich nun darauf einigte, die Umstellung erst beim Ende des laufenden Vertrags mit Jesper Bus durchzuführen.
Bis dahin investiert Jesper Bus, selbst grosser Anhänger der Nachhaltigkeit, auf eigene Rechnung Geld in die weitere Ökologisierung des Fahrzeugparks. Die beiden 2020 gelieferten Crossways der neusten Generation verfügen bereits über ein energiesparendes Extra: Die Fahrzeuge sind mit Solarpaneelen auf den Dächern ausgerüstet, welche den aus dem Bordnetz und der Klimatisierung resultierenden Strombedarf grösstenteils abdecken können. Ausserdem werden die Busse für die verbleibende Vertragsdauer mit Diesel aus «Gas-to-Liquid»-Produktion, also faktisch durch umgewandeltes Erdgas, betrieben; dieses verbrennt partikelfrei und verursacht gegenüber klassischem Diesel weniger CO2.
Es ist zu hoffen, dass die Weiterentwicklung Ærø tatsächlich zu einem Vorbild in Sachen Energieeffizienz machen wird – mit dem Gratis-ÖV zeigt die innovative Gemeinde jedenfalls schon beispielhaft auf, dass attraktive umweltfreundliche Angebote auch finanzierbar sind und ihre Wirkung zeigen!
Herzlichen Dank an:
- Joan Lykke Ammersbøll von der Inselgemeinde fürs Herstellen der Kontakte.
- Halfdan Abrahamsen vom Ærø EnergyLab für die fachlichen Ergänzungen und Erläuterungen zum Thema Nachhaltigkeit.
- Adam vom Andelen Guesthouse für die gute Unterkunft.
Die meisten Informationen in diesem Artikel stammen aus eigenen Recherchen, aus zahlreichen dänischen Zeitungen und von verschiedenen privaten Websites über das Dänische Fährwesen. Besonders erwähnenswert aus Sicht des Autors:
- Die Website http://www.danskebusser.dk/bus/ als Nachschlagewerk über den Fahrzeugbestand der entsprechenden Busunternehmen.
Jonas Schaufelberger
Jonas Schaufelberger ist Mitgründer von ÖV Panorama und wohnt in Rapperswil-Jona. Er beschäftigt sich beruflich und in der Freizeit mit dem öffentlichen Verkehr und dokumentiert mit seiner Website www.postautohalter.info seit 2009 Fahrzeuge und Linien des "gelben Riesen". Daneben liegt sein Schwerpunkt auf dem Überland-Busverkehr in der Schweiz, wobei er (wie auch bei seinen gelegentlichen fotografischen Exkursen nach Nord- und Osteuropa) stets per ÖV oder zu Fuss unterwegs ist.