Der Mont-Saint-Michel, der eindrückliche Klosterberg auf einer Insel im normannischen Wattenmeer, ist nicht nur die wichtigste Touristenattraktion der Region, sondern weist auch eine weltweit einzigartige Buslösung auf: Die Erschliessung erfolgt primär über Zweirichtungsbusse.
Ein Kurzbericht von Sandro Flückiger (Text und Fotos).
Wie die Abtei auf die Insel kam
Der Legende nach forderte der Erzengel Michael den Bischof von Avranches im frühen 8. Jahrhundert immer wieder auf, auf einer Felseninsel in der Bucht südwestlich der Stadt eine Kirche zu seinen Ehren zu errichten. Als der Bischof dieser Bitte nicht nachkam, brannte der Engel ihm ein Loch in den Schädel. Die Geschichte des Klosters auf den Felsen des Mont-Saint-Michel begann aber erst Mitte des 10. Jahrhunderts. Diese erste Klosteranlage wurde im Hundertjährigen Krieg fast vollständig zerstört. Da die Insel bereits damals viele Pilger anzog, legte man anschliessend Wert darauf, eine eindrückliche Abteikirche im gotischen Stil zu bauen, welche im Jahr 1520 fertiggestellt wurde. Die religiösen und politischen Verhältnisse änderten sich in den folgenden Jahrhunderten und so wurde aus dem Kloster im Zuge der französischen Revolution ein Gefängnis. Anfang des 19. Jahrhunderts waren schliesslich viele Bauten verfallen und die auf der Insel gelegene Ortschaft verarmt.
Restaurierung und Erschliessung über einen Damm
Dies änderte sich, als sich ab 1836 eine Gruppe um Victor Hugo für die Wiederherstellung zu bemühen begann. Allerdings gab es bezüglich der Erschliessung der Insel ein Problem: die Region weist mit bis zu 14 Meter Tidenhub stark ausgeprägte Gezeiten auf und die Insel war nur bei Niedrigwasser über das Wattenmeer erreichbar. Damit die Touristen unabhängig der Gezeiten die Insel erreichen konnten, wurde zwischen 1877 und 1879 ein Damm errichtet, der von Personen und Fuhrwerken ganztägig genutzt werden konnte. Noch endete die von Fougères kommende Bahnlinie in La Caserne auf dem Festland. Diese erste Bahnanbindung des Mont-Saint-Michel rentierte allerdings nicht und wurde bereits 1886 wieder eingestellt.
Ab dem Sommer 1901 nahm eine 10 Kilometer lange normalspurige Bahnlinie ab Pontorson den Betrieb auf und hatte den Endpunkt direkt vor den Stadttoren des Mont-Saint-Michel auf dem Damm. Diese als eigenständige Stichlinie betriebene Bahnlinie schrieb aber durch die starken saisonalen Frequenzschwankungen ebenfalls bald Verluste. Dies verstärkte sich ab den 1930er-Jahren durch das Aufkommen von Autos und Bussen stetig und so war man 1938 gezwungen, den Bahnbetrieb zum Mont-Saint-Michel einzustellen. Stattdessen wurde in den 1960er-Jahren neben dem Damm ein Parkplatz im Wattenmeer errichtet, der allerdings durch die Gezeiten ebenfalls immer wieder überflutet wurde.
ÖV-Reisende mussten am 9 Kilometer von der Insel entfernten Bahnhof von Pontorson auf den Bus umsteigen oder den Weg zum Mont-Saint Michel zu Fuss zurücklegen.
Aus dem Damm wird ein Steg
Anfang der Nullerjahre stellte man nicht nur fest, dass die Parkplätze nicht für die stetig wachsenden Touristenmassen – inzwischen über 3 Millionen Personen jährlich – reichten, sondern auch, dass der Damm in der Mündung Couesnon dazu führte, dass sich Sand sammelte und so der Inselberg immer mehr verlandete. Dem wollte man begegnen, indem der Damm durch eine Brücke ersetzt werden sollte.
Im Jahr 2006 begannen die Bauarbeiten, wobei zuerst ein Gezeitendamm im Fluss gebaut wurde, der das Meerwasser bei Flut zurückhält und den Fluss staut. Diese Arbeiten waren 2008 abgeschlossen und man machte sich daran, den bisherigen Damm zum Mont-Saint-Michel durch einen filigranen Stahlsteg zu ersetzen, der ermöglicht, dass das Meerwasser die Insel vollständig umspülen kann. Das Unterfangen kostete nicht nur 200 Millionen Euro, sondern brachte für die Erschliessung auch ganz neue Herausforderungen mit sich.
Während die Erstellung von rund 4’000 Parkplätzen in La Caserne, ca. 2.5 Kilometer vom Stadttor entfernt, relativ unproblematisch war, gab es während der finalen Bauphasen zwischen 2012 und 2014 keine Möglichkeit, Busse am Mont-Saint-Michel zu wenden, die Verkehrswege endeten jeweils stumpf ohne Wendeplatte. Daher entschied man sich für eine weltweit einmalige Lösung zur Erschliessung der Klosterinsel: Zweirichtungsbusse mit Führerständen und lenkbaren Achsen auf beiden Seiten, die auf der Stelle die Richtung wechseln können.
Zweirichtungsbusse als Shuttle
Die Firma Contrac Cobus, die eigentlich für Vorfeldbusse auf Flughäfen bekannt ist, nahm sich der Herausforderung an und entwickelte den COBUS DES (Double End Steering). Dank eines Wendegetriebes kann die Antriebsrichtung des Automatikgetriebes umgekehrt werden, womit der Bus in beide Fahrtrichtungen mit bis zu 50 km/h unterwegs sein kann, die jeweils hintere Achse wird dabei in gerader Position fixiert. Neben den offensichtlichen Herausforderungen galt es für die Zulassung für den öffentlichen Strassenverkehr auch Details zu beachten – so wurden Reflektoren und Scheinwerfer versenk- bzw. umstellbar vorgesehen, damit jeweils auch nachts eindeutig erkennbar ist, in welche Richtung der Bus verkehrt. Damit man Komponenten aus dem Flughafenbus Cobus 2700 übernehmen konnte, setzte man auf eine Fahrzeugbreite von 2.70 Meter. Damit haben die Cobus DES 15 Zentimeter Überbreite und benötigen eine Ausnahmegenehmigung. Auch mit ihrer Länge von 14.50 Meter und einem Radstand von 8.05 Meter liegen sie über den üblichen gesetzlichen Vorgaben für Zweiachsbusse, was einen Einsatz abseits der Shuttle-Verbindung verhindert.
Die ersten sechs Busse, die in Anlehnung an den Steg, den sie befahren, mit Teakholz verkleidet wurden, nahmen den Betrieb im Sommer 2012 auf. Im Jahr 2014 wurde die Flotte um sechs Fahrzeuge erweitert, um die «Le Passeur» genannte Shuttle-Verbindung zwischen dem Parkplatz und dem Mont-Saint-Michel verdichten zu können. Mindestens im 10-Minuten-Takt, bei hohem Besucheraufkommen auch dichter, verkehren nun die zwölf Shuttlebusse zwischen Parkplatz und dem «magischen Berg», der mit seinen engen Gässchen angeblich Inspiration für die Winkelgasse in «Harry Potter» und mit seiner Form für Minas Tirith in «Herr der Ringe» war.
Inzwischen verkehren auch wieder normale Busse zum Mont-Saint-Michel: Die Busverbindung zum Bahnhof Pontorson mit 5 Kurspaaren täglich sowie die Linie für die Anwohner und Angestellten der Insel werden durch Keolis mit vier Midibussen von Mercedes-Benz bedient und enden sogar ein paar Meter näher an der Insel als die Shuttles, die noch auf dem Steg die Richtung wechseln.
Länge | 14.50 m |
Breite | 2.70 m |
Höhe | 2.98 m |
Radstand | 8.05 m |
Überhang (beidseitig) | 3.225 m |
Motor | Cummins ISB 6.7 EV (EEV-Abgasnorm) |
Hubraum | 6.7 l |
Leistung | 146 kW / 199 PS |
Getriebe | Allison 2100 (5 Vorwärts-, 1 Rückwärtsgang) |
Leergewicht | ca. 14 Tonnen |
Zulässiges Gesamtgewicht | 20.7 Tonnen |
Kapazität | 90 Personen |
Sandro Flückiger
Sandro Flückiger ist Mitgründer von ÖV Panorama. Seit 2007 fotografiert er mit Schwerpunkt auf den städtischen öffentlichen Verkehr. Sein Interesse gilt daneben auch der Verkehrsgeschichte sowie der Fahrzeugtechnik. Beruflich befasst er sich zudem mit Verkehrstechnik und -Infrastruktur.