Dass eine Stadt nach einer Bahnlinie benannt wird, ist eher selten. Trotzdem ist in der Fachwelt die „S5-Stadt“ durchaus ein Begriff – wir beleuchten Geschichte und Verkehr auf der Linie ins Zürcher Oberland, welche weit mehr als nur eine halbstündliche S-Bahn zu bieten hat.
Ein Bericht von Jonas Schaufelberger (Text und Fotos).
Dass Bahnlinien nach den bedienten Dörfern benannt werden, ist durchaus üblich – als Beispiele können etwa das «Läufelfingerli», das «Bipperlisi» oder das «Wilerbähnli» dienen. Dass eine Stadt nach einer Bahnlinie benannt wird, ist dagegen eher selten. Genau genommen handelt es sich bei der so genannten «S5-Stadt» auch nicht im eine Stadt, sondern um eine lineare Ansammlung von stark wachsenden Städten und Gemeinden, welche entlang der Bahnlinie zwischen Zürich und Rapperswil liegen. Die Einführung der S-Bahn Zürich mit ihrer stark beschleunigten S5 hat hier zu einem starken Wachstum geführt, und in der Diskussion über deren Auswirkungen wurde auch der Begriff der S5-Stadt erfunden.
Die Anfänge der Oberland-Linie
Die Wurzeln der Linie sind bereits im Jahr 1856 zu finden – damals eröffnete die Glatthalbahn ihre Bahnstrecke zwischen Wallisellen und Uster, welche in den folgenden Jahren nach Wetzikon (1857), Rüti (1858) und Rapperswil (1859) verlängert wurde. Ab 1857 geschah dies bereits unter dem Namen der Vereinigten Schweizerbahnen (VSB), in der die Glatthalbahn aufging.
Anfänglich hatte die Strecke eine gewisse überregionale Bedeutung als Verbindung von Zürich in den Kanton Graubünden, da die direkte Verbindung über Thalwil und Pfäffikon SZ nach Ziegelbrücke erst 1875 in Betrieb ging. Noch bis zur Verstaatlichung der meisten Normalspurbahnen im Jahr 1902 rollten einige Schnellzüge wie der 1884 eingeführte Arlberg-Express nach Wien durch das Zürcher Oberland. Danach beschränkte sich die Bedeutung auf den Verkehr von und nach den Oberländer Gemeinden, wobei dieser aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung entlang des Aabachs und der Jona sowohl bezüglich Personen als auch bezüglich Gütervolumen durchaus respektabel war.
Elektrifizierung und Doppelspurausbau
Im Jahr 1932 wurde die Strecke elektrifiziert – sechs Jahre nach der rechtsufrigen Zürichseebahn entlang der Goldküste, auf welcher die mit Fe 4/4 geführten «Arbeiter-Pullmann» schon Ende der 20er-Jahre eine neue Ära mit Pendelzugbetrieb sowie einheitlichem, komfortablem Rollmaterial einläuteten. Der schrittweise Rückgang der klassischen Textilindustrie im Oberland führte dann aber bald zur Stilllegung einiger Nebenbahnen – auch die normalspurigen Uerikon-Bauma-Bahn wurde 1948 eingestellt.
Die Oberland-Linie selbst war mit einem soliden Grundaufkommen nie gefährdet; die vorhandenen Fahrgäste rechtfertigten auch die Führung von einigen Eilzügen, welche die Strecke mit Halt nur an ausgewählten Zwischenhalten bedienten – eine Art Vorläufe der beschleunigten S-Bahnen. Die Fahrt Zürich HB–Rapperswil dauerte vor Einführung des Taktfahrplans je nach Haltepolitik – vor allem Jona und Zürich Wipkingen wurden nicht von allen Zügen bedient – zwischen 55 und 65 Minuten, danach wurde sie auf rund 60 Minuten systematisiert und die Fahrt stündlich, an Werktagen zeitweise halbstündlich angeboten.
Im Jahr 1979 bewilligte die Zürcher Stimmbevölkerung den Doppelspurausbau der Glattal-Linie bis Uster, die bis 1984 umgesetzt wurde. Sie brachte den bedienten Ortschaften auch moderne Stationen mit Seitenperrons und Unterführungen anstelle der bisherigen «Landbahnhöfe». Die klassischen Bahnhofsgebäude aus der Eröffnungszeit der Bahn gingen dabei mit Ausnahme von Uster verloren.
Die S-Bahn kommt
Ein Quantensprung brachte die Einführung der S-Bahn Zürich im Mai 1990. Das Angebot wurde in diesem Zuge ausgebaut und in schnelle und langsame S-Bahnen unterteilt – ein Prinzip, das im restlichen Kanton erst nach und nach eingeführt wurde. Mit der gleichzeitigen Eröffnung der Zürichberglinie Zürich HB – Stadelhofen – Stettbach – Dietlikon / Dübendorf wurde ausserdem eine direkte Anbindung an den Bahnhof Stadelhofen beim wichtigen Verkehrsknoten Bellevue geschaffen, sowie die Möglichkeit, die Züge von der Oberlandlinie über Zürich hinaus durchzubinden. So wurde die S5 geschaffen, welche ab Pfäffikon SZ über Rapperswil – Wetzikon – Stadelhofen – Zürich weiter nach Oerlikon, Bülach und Rafz (bzw. in der anderen halben Stunde nach Niederweningen) führte; zwischen Wetzikon und Stadelhofen hielt sie nur in Uster. Die Bedienung der Zwischenhalte wurde durch die S14 übernommen, welche ab Zürich HB den klassischen Weg über Wipkingen, Oerlikon und Wallisellen nahm und ab Wetzikon nach Hinwil weiterfuhr. Zusammen mit der S2 und S6, die sich zwischen Effretikon und Wetzikon zu einem Halbstundentakt ergänzten, entstand in Wetzikon zu den Minuten xx.15 und xx.45 ein Vollknoten mit Anschlüssen in alle Richtungen, auf welchen neu auch die Buslinien der Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) sauber abgestimmt werden konnten.
Zwischen Uster und Dübendorf wurde die S14 durch die S9 zum Viertelstundentakt ergänzt, die dann aber den schnelleren Weg über Stettbach nach Zürich nahm und von dort weiter über das Knonauer Amt nach Zug führte.
Um dieses Angebot bewältigen zu können, wurde die Strecke weiter ausgebaut; bis im Mai 1990 wurden die Streckenabschnitte Aathal – Wetzikon und Rapperswil – Jona (genauer, bis zur Dienststation Grünfeld etwa 200 Meter nördlich der Haltestelle Jona) auf Doppelspur ausgebaut. Beide Ausbauten hatten massive Eingriffe zur Folge: in Aathal wurde die Strecke begradigt, die neue Haltestelle mit Mittelperron endet direkt am Portal eines 265 Meter langen, neuen Doppelspurtunnels. In Jona, wo erst 1980 eine Haltestelle an der eingleisigen Strecke eingerichtet wurde, mussten der bestehende Einschnitt durch den Grünfels-Hügel sowie der beidseits anschliessende Damm verbreitert werden, um Platz für ein zweites Gleis und einen zweiten Aussenperron zu schaffen. Die Fahrzeit wurde dank Zürichberglinie und beschleunigten S-Bahnen massiv reduziert: Statt rund 60 Minuten dauerte die Fahrt Zürich HB–Rapperswil nun noch 35 Minuten, schneller als bisher entlang der «Goldküste» über Meilen.
Auch der Fahrzeugeinsatz änderte sich mit der Einführung der S-Bahn: Waren bisher mehrheitlich Pendelzüge mit Triebwagen RBe 4/4, Re 4/4 oder gar BDe 4/4 Standard, wurden nun sukzessive die vierteiligen DPZ-Pendelzüge mit Re 450 und Doppelstockwagen eingesetzt, üblicherweise in Einfachtraktion, in den Hauptverkehrszeiten aber auch in Doppeltraktion oder sogar in 300 Meter langen Dreifachkompositionen. Die Ablösung des bestehenden Materials zog sich allerdings bis zum Ende der Lieferfrist 1998 hin, lediglich die von Beginn an sehr stark frequentierte S5 wurde relativ rasch auf DPZ umgestellt. Auch nach 1998 blieben die inzwischen zu RBe 540 modernisierten Triebwagen aus den 1960er-Jahren ein gewohntes Bild, nun allerdings auf den nummernlosen HVZ-S-Bahnen, welche die S5 in Lastrichtung zu einem ungefähren Viertelstundentakt ergänzten.
Der Viertelstundentakt kommt…
Schon kurz nach ihrer Einführung musste die S-Bahn Zürich ausgebaut werden. Während die erste und zweite Teilergänzung die Oberlandlinie nicht betrafen, wurde im Rahmen der dritten Teilergänzung bis Dezember 2006 ein Doppelspurabschnitt zwischen Bubikon und Rüti erstellt. Dieser ermöglichte die Kreuzung zwischen der S5 und der Zusatzzüge auf offener Strecke; diese Neutrassierung der Zusatzzüge ermöglichte es, dass diese untereinander zwischen Rapperswil und Jona sowie in Wetzikon kreuzen und somit in beide Richtungen gleichzeitig fahren konnten. Aus den Zusatzzügen entstand damit eine neue Linie. Sie erhielt die Nummer S15 und wurde zu Beginn von Montag bis Freitag geführt; über Zürich hinaus verkehrte sie zuerst bis Birmensdorf und nach Abschluss der Teilergänzung im Dezember 2007 bis Affoltern am Albis. Anfänglich kamen in den Hauptverkehrszeiten die betagten RBe-540 als «Sandwich» mit einem Triebwagen an beiden Zugsenden zum Einsatz, in den ruhigeren Tageszeiten DPZ-Pendelzüge.
Die Entlastungswirkung der neuen S-Bahn auf die S5 hielt sich anfänglich in Grenzen, was zum Teil den anfänglich nicht auf diese Züge ausgerichteten Anschluss-Buslinien, aber nach Einschätzung der Besteller auch auf das alte Rollmaterial zurückzuführen war. Die Ablösung nahte in Form der neuen Doppelstock-Triebzüge vom Typ RABe 514 (DTZ); im gelenkten Einsatz auf der S14 gelangten die Züge im Sommer 2006 erstmals in den kommerziellen Einsatz, wobei sie die damals noch regelmässig zu sehenden Mirage-Triebzüge RABDe 510 ersetzten. Sobald die Züge definitiv abgenommen wurden, waren sie auch auf der S15 zu sehen, welche sie im Dezember 2008 integral übernahmen. Gleichzeitig wurden diverse Buslinien auf die S15 ausgerichtet, was der neuen Linie zum Durchbruch verhalf. Mit fortschreitender Ablieferung gelangten auch mehr Züge auf die S14, welche ab dem April 2009 ebenfalls vollständig mit diesen neuen Niederflurtriebzügen bedient wurde.
Grosse Umstellungen durch die vierte Teilergänzung
Ab Dezember 2011 kam die neuste Generation von Zürcher S-Bahn-Zügen zum Einsatz: die von Stadler gelieferten Triebzüge des Typs RABe 511, vom Hersteller «KISS» genannt, bei der SBB als RV-Dosto (RVD) geführt. Aufgrund der Möglichkeit, die Züge am Zürcher Hauptbahnhof auszutauschen, und der relativ kurzen Streckenlänge wurde wiederum die S14 als erste Einsatzstrecke ausgewählt, bevor die Züge, erstmals in der Geschichte der Zürcher S-Bahn mit 150 statt 100 Metern Länge, auf die stark frequentierte S12 gelangten. Ins Oberland gelangten sie schrittweise mit einigen Umläufen der S15, welche dann per Juni 2014 fast vollständig auf das neue Rollmaterial umgestellt wurde – gleichzeitig wurden auf der S5 nach über 20 Jahren die DPZ-Pendelzüge durch DTZ-Triebzüge ersetzt, die DPZ gelangten dafür (wieder) auf S7, S8 und S15. Grund für die Rochade waren die stets knappen Fahrzeiten und vor allem Fahrgastwechselzeiten auf der S5 – mit 8 statt 6 Türen pro 100-Meter-Zug und besserer Beschleunigung erhoffte man sich hier eine deutliche Entspannung.
Die DTZ blieben allerdings nicht lange auf der S5: Es zeigte sich rasch, dass die im Juni 2014 von DTZ zurück auf DPZ umgestellte S8 vor allem zwischen Zürich und Pfäffikon ZH zu wenig Kapazität hatte und auch ihre Fahrpläne kaum einhalten konnte. Nach eineinhalb Jahren wurden deshalb im Dezember 2015 die DTZ von der S5 auf die S8 versetzt; die inzwischen vorangeschrittene Ablieferung der RV-Dosto ermöglichte es, die S5 integral mit diesen Zügen zu bedienen, während auf der S15 wieder verstärkt DPZ eingesetzt wurden.
Gleichzeitig wurde im Dezember 2015 auch die vierte Teilergänzung der S-Bahn Zürich auf diesem Korridor umgesetzt. In diesem Ausbauschritt wurden die S-Bahn-Linien in Zürich neu verknüpft, wobei die Äste im Oberland ihre Nummern und Taktlagen behielten:
- S5 Pfäffikon SZ – Rapperswil – Zürich, neu weiter nach Affoltern a.A. und Zug
- S9 Uster – Zürich, neu weiter nach Bülach – Rafz – Schaffhausen
- S14 Hinwil – Zürich neu weiter nach Affoltern am Albis
- S15 Rapperswil – Zürich neu weiter nach Oberglatt – Niederweningen
Die S14 fuhr bereits seit Juni 2014 über die neue zweite Durchmesserlinie anstatt über die alte Nordostbahn-Strecke via Wipkingen in den Zürcher Hauptbahnhof, was die Verlängerung ab Dezember 2015 überhaupt erst ermöglichte.
Die letzten Reste der Hauptlinie
Mit der zunehmenden Ablösung der auf der S15 verbliebenen wenigen DPZ durch RABe 511 herrscht im Oberland eine klare Einsatzordnung: sechsteilige Niederflur-Triebzüge auf den Schnelllinien S5 und S15, DPZ auf den «langsamen» S9 und S14.
Nur zwei Zugläufe erinnern daran, dass die Linie als Hauptlinie einst mehr Funktionen hatte als nur die rasche Anbindung einer wachsenden Agglomeration an Zürich. Da ist einerseits das werktägliche Güterzugs-«Paar» 50433/50458, welches Wetzikon an den Rangierbahnhof Limmattal anbindet und dabei auch Güterwagen in Schwerzenbach abholt, und das mit einer Re 620 einen Hauch «echte Eisenbahn» ins Glattal bringt.
Andererseits werden auch die Domino-Pendelzüge der Linie Rapperswil–Schwanden (–Linthal) über die Glattal-Linie nach Zürich überführt (die Überführung in Gegenrichtung erfolgt zumindest im Fahrplan 2019 über Wädenswil und Pfäffikon SZ).
In Zukunft wird ein weiterer Ausbau der S-Bahn angestrebt: Das Konzept «S-Bahn 2G» des ZVV plant die Aufteilung des Netzes in eine «innere» S-Bahn mit einstöckigen stehplatzoptimierten Zügen und eine «äussere» S-Bahn mit Doppelstockzügen, welche im Bereich der inneren S-Bahn beschleunigt verkehren sollen. Fahrplantechnisch ist dieses Konzept im Glattal eigentlich schon umgesetzt – allerdings noch nicht mit den angestrebten Zugsdichten und -Typen. Der Ausbauschritt (AS) 2035, den das Bundesparlament im Juni 2019 verabschiedet hat, bringt gemäss provisorischem Angebotskonzept folgendes Raster:
- Sauberer 15-Minuten-Takt der schnellen S-Bahn analog heute
- Sauberer 15-Minuten-Takt der langsamen S-Bahn via Stadelhofen nach Uster
- Zusätzlich dazu je halbstündlich schnelle und langsame S-Bahnen via Oerlikon – Wallisellen nach Wetzikon. Neu soll die schnelle anstelle der langsamen S-Bahn nach Hinwil weiterfahren.
- In der Summe erreichen somit ab Zürich 12 stündliche Züge Uster und deren 8 Wetzikon.
Auch wenn sich dieses Konzept bis zu seiner Umsetzung mehrfach ändern dürfte: die dazu notwendige Ergänzung des Bahnhofs Stadelhofen mit einem vierten Gleis und niveaufreier Verzweigung der Linien nach Tiefenbrunnen und Stettbach ist beschlossene Sache und wird eine weitere Kapazitätssteigerung bringen. Auch der Ausbau zwischen Uster und Aathal ist im AS 2035 enthalten.
Klar ist aber auch, dass mit den angestrebten Zugzahlen zwischen Dübendorf und Uster die Kapazität dieser über 150-jährigen Strecke definitiv ausgereizt sein wird. Ob die Kapazitäten reichen werden, um die in der Hautpverkehrszeit heute schon spürbaren Engpässe zu beseitigen, ist fraglich. Wenn sich der ÖV in der Schweiz mittelfristig in gewohntem Mass weiterentwickeln wird, dürfte der Vierspur-Ausbau Dübendorf – Uster schon bald zum Thema werden. Auch die Diskussionen über den Doppelspurausbau Uster – Aathal dürften aber noch nicht «gegessen» sein – die seit Jahren und auch schon ohne Aussicht auf Realisierung teilweise heftig ausgetragene Diskussion über die genaue Umsetzung (Tunnel oder offen, mit oder ohne zusätzliche Haltestellen, über die ganze Strecke oder nur zwischen Oberuster und Aathal) dürfte hier weiterhin für Zündstoff in den Debatten auf allen Ebenen sorgen.
Im Siedlungsband zwischen Dübendorf und Uster leben heute 90’000 Einwohner, hinter Uster kommen bis Rapperswil-Jona noch einmal 70’000 dazu, und die Tendenz zeigt in allen Städten weiter aufwärts. Es ist zu hoffen, dass die einstige Nebenbahn mit dieser Entwicklung auch in Zukunft Schritt halten kann.
Jonas Schaufelberger
Jonas Schaufelberger ist Mitgründer von ÖV Panorama und wohnt in Rapperswil-Jona. Er beschäftigt sich beruflich und in der Freizeit mit dem öffentlichen Verkehr und dokumentiert mit seiner Website www.postautohalter.info seit 2009 Fahrzeuge und Linien des "gelben Riesen". Daneben liegt sein Schwerpunkt auf dem Überland-Busverkehr in der Schweiz, wobei er (wie auch bei seinen gelegentlichen fotografischen Exkursen nach Nord- und Osteuropa) stets per ÖV oder zu Fuss unterwegs ist.