Im Jahr 1989 wählte Polen erstmals seit langer Zeit unabhängig seine Regierung – der Kommunismus war am Ende. Das bekam schrittweise auch die Bahn zu spüren: Im Spannungsfeld von Privatisierung, Automobilisierung und Modernisierung schlägt sich PKP Intercity seit bald 20 Jahren im Fernverkehr mehr oder weniger erfolgreich – heute unter dem wachsamen Auge einer rechtsnationalen Politik.
Ein Bericht von Jonas Schaufelberger (Text und Fotos).
1989-2001: Die PKP im Umbruch
Das Jahr 1989 war nicht nur in Polen ein historisches – aber es waren nicht zuletzt die Vorkommnisse im Land der Solidarność, welche den Niedergang des Kommunismus im Osten Europas beschleunigten. Obschon bei den Wahlen im Juni noch die einstigen Blockparteien eine Mehrheit erhielten, waren sie unfähig, eine Regierung zu bilden – im September wurde dann eine solche mit Opposition und zwei «gekippten» Blockparteien beschlossen, womit der Kommunismus in Polen zu Ende war. Kurz darauf anerkannte das wiedervereinigte Deutschland im November 1990 offiziell die bis dahin strittige polnische Westgrenze, womit Polen mit ganz anderen Augen in die Zukunft schauen konnte als noch kurz davor. Dies bekam auch die Polnische Staatsbahn Polskie Koleje Państwowe (PKP) rasch zu spüren; bereits 1990 wurden erste Nebenbetriebe ausgegliedert und privatisiert, wobei die noch in Staatshand befindliche PKP anfänglich stets mindestens 51% der Aktien behielt.
Die Wende zeigte sich auch in der Ablieferung erster klimatisierten Personenwagen für den Fernverkehr. Bis 1989 wurden praktisch ausschliesslich Wagen der in Osteuropa verbreiteten «kurzen» Bauart UIC-Y, bzw. der mit der OSShD (dem sowjetischen Pendant zur UIC) kompatiblen Bauart YB beschafft. Just 1989 wurden erstmals dem langen UIC-Typ X entsprechende Speisewagen im ostdeutschen Bautzen beschafft, 1990 die ersten von 70 Wagen vom Typ «XB», im deutschen Görlitz produzierte Zweitklasswagen, welche ungefähr dem unklimatisierten Typ UIC-Z2 entsprachen, als grösste Abweichung aber 8 anstatt 6 Sitze pro Abteil aufwiesen. 1991 folgten aus dem Werk Bautzen 70 Abteilwagen 1. und 2. Klasse mit geschlossenen Fenstern, welche dem Typ UIC-Z2 entsprechen. Damals war bereits auch die Planung der 50 ersten klimatisierten und für 200 km/h tauglichen Z1-Wagen im Gang: Da die heimische Industrie noch nicht über die entsprechenden Fähigkeiten verfügte, wurden durch die Lokomotiv- und Wagenfabrik Poznań (FPS) und ABB-Henschel in Kooperation gebaut und nach finanziellen und rechtlichen Schwierigkeiten 1996 ausgeliefert.
Die ersten gänzlich in Polen gebauten UIC-Z2-Wagen waren die 12 Liegewagen der Bauart 134A, welche vollständig von FPS erbaut wurden. Ab 1992 folgten 42 Abteilwagen vom Typ 136A, welche ebenfalls dem Z2-Standard entsprechen; die 1994/1995 gelieferten Zweitklasswagen 144A (25 Stück) und Erstklasswagen 145A (20 Stück) waren dann, obwohl ansonsten dem Z2-Standard entsprechend, erstmals vollklimatisiert. Ab 1997 folgten zuletzt noch die 64 Wagen der Typen 152A (1. Klasse) und 154A (2. Klasse), dem Z1-Standard entsprechend und gleichzeitig die ersten Grossraumwagen in der Flotte!
2001–2008: Ein florierender Intercity-Betrieb
Parallel dazu wurden immer mehr Teile der PKP aus dem Mutterkonzern ausgegliedert und privatisiert (oder aber in Aktiengesellschaften in Staatsbesitz umgewandelt). An den Personenverkehr wagte man sich erst Ende der 1990er-Jahre. Kurz nach dessen Ausgliederung 1999 wurde 2001 die PKP Intercity (PKP IC) gegründet, mit dem Auftrag, fortan den hochwertigen Fernverkehr zu betreiben. Für den Regionalverkehr wurde gleichzeitig die PKP Przewozy Regionalne (PR) geschaffen, wobei diese auch den Fernverkehr auf den weniger prestigeträchtigen Routen behielt.
Die bis dahin gelieferten UIC-Z- sowie die XB-Wagen gelangten vollständig zu PKP IC, welche auch alle weiteren Z-Wagen, die noch in Produktion waren, erhielt. Nichtsdestotrotz erbte PKP IC eine grosse Flotte von Wagen der Typen YB und UIC-Y: Auf die insgesamt über 3’500 gebauten Wagen der Typen 110A (Liegewagen), 111A (2. Klasse), 112A (1. Klasse), 113A (Speisewagen) sowie die Schlaf- und Zweitklasswagen aus Görlitz und Bautzen konnte weder im Regional- noch im Fernverkehr verzichtet werden. Selbst die bis 1992 noch gebauten 260 Wagen der Typen 140A (1. Klasse) und 141A (2. Klasse) waren zwar noch nicht einmal 10 Jahre alt, mit ihren klotzgebremsten Drehgestellen, Übersetzfenstern und den 4er-Sitzbänken in den 2.-Klass-Abteilen aber trotzdem bereits veraltet.
So begann man, auch die ersten solchen Wagen zu modernisieren: Noch vor der Aufteilung in Regional- und Fernverkehr wurden die ersten Wagen zu so genannten «Lux»-Wagen modernisiert: Sie erhielten modernere Drehgestelle, eine neue, komfortablere Inneneinrichtung und neue Türen; die Grundkonstruktion blieb aber unverändert. Dem zunehmenden Bedürfnis, auch Velos im Zug zu befördern, wurde mit einer Serie Velowagen Rechnung getragen: Dazu wurden in einigen Zweitklasswagen einfach einzelne Abteile ausgebaut und mit Velohaken versehen, hinzu kamen für Saisonzüge auch umgebaute Gepäckwagen. Die ersten vollmodernisierten Wagen erschienen dann 2005: Einerseits wurden aus 30 Liegewagen neue Grossraumwagen mit Veloabteil und Klimaanlage geschaffen (111Arow), andererseits wurden die ersten kaum 15-jährigen Wagen der Typen 140A und 141A mit stärkeren Lüftungen, neuen Türen und Aussenanzeigen versehen (Typ 140A-mod bzw. 141A-mod). Eine verbesserte Bauart des schon erwähnten 111Arow erschien ab 2008 in 45 Exemplaren.
Parallel dazu veränderte sich die Ausgangslage aber mehrmals. Schon 2004 wurde auf Geheiss des Infrastrukturministeriums eine Handvoll wichtiger Expresszüge samt Rollmaterial von PKP PR übernommen, welche vorerst als IRn (InterRegion) in das Angebot aufgenommen wurden. Gleichzeitig wurde durch Zusammenlegung der bisherigen Zugskategorien Express (Ex) und InterCity (IC) der neue ExpressInterCity (EIC) geschaffen, welcher nebst verschiedener weiterer, zum Teil kurzlebigen Gattungen wie dem «Noczny Express» (Nachtexpress), rasch zum wichtigsten Produkt wurde. 2005 wurde der «TLK» geboren: «Tanie Linie Kolejowe» (zu Deutsch: Günstige Eisenbahnlinien), hiessen nun die ehemaligen IRn-Züge, aber auch einige weitere, teils neue, teils aus Ex umgewandelte Verbindungen. Preislich deutlich unter dem EIC-Preis gelegen, wurden diese praktisch ausschliesslich aus UIC-Y-Material gebildet und umfassten auch die meisten bisherigen Nachtexpress-Verbindungen. Die ersten der Züge erhielten sogar ein eigenes Aussendesign – was aber bald wieder aufgegeben wurde.
UIC-Z-Wagen wurden in dieser Zeit übrigens nur sehr beschränkt beschafft: 2005 gelangten zehn Schlafwagen 304A zur Ablieferung, welche den Nachtzug «Jan Kiepura» (Warschau–Amsterdam) auf ein neues Komfort-Niveau hoben. Stattdessen begann man, die teilweise erst knapp 10-jährigen XB- und Z2-Wagen schrittweise zu modernisieren, wobei feste Fenster, Klimaanlagen, Aussenanzeigen und Steckdosen nachgerüstet wurden.
2008–2014: Ein «vergiftetes» Erbe und neue Konkurrenz
Bis 2008 verliefen die Geschäfte von PKP IC durchaus positiv: Finanziell machte die Gesellschaft mit den grösstenteils eigenwirtschaftlichen Linien schöne Gewinne, und die Fahrgastzahlen stiegen zwar nicht gerade ins Unermessliche, aber doch konstant an. Im Dezember 2008 sollte sich das jedoch nachhaltig ändern: Nach dem Beschluss des Infrastrukturministeriums PKP PR an die einzelnen Wojewodschaften (die polnischen Regionalregierungen) zu verkaufen und deren verbliebene, zweitrangige Fernverkehrsleistungen gleichzeitig an PKP IC zu übergeben, vergrösserte sich deren Geschäftsvolumen plötzlich um fast das Vierfache. Es gelangten aber auch im grossen Stil unrentable Linien und veraltete UIC-Y-Wagen zum Park – die einzigen einigermassen modernen Wagen waren die rund 120 im Rahmen des ersten EU-Regionalentwicklungsprogramms (SPOT) modernisierten Fahrzeuge, darunter immerhin auch 34 Grossraumwagen mit Velo- oder Rollstuhlabteil.
Ebenfalls neu war für PKP IC der Besitz eigener Lokomotiven – bisher wurden solche durchwegs von PKP Cargo angemietet. Mit der Übernahme praktisch alle PR-Maschinen ebenso wie der bisher gemieteten Cargo-Loks erbte man einen bunt gemischten Park: Zwar entsprach mit über 300 Loks die Mehrheit der ursprünglichen Bauart EU07/EP07 – im Laufe der Jahre war diese ursprünglich in britischer Lizenz gebaute Grossserie aber mittels zahlreicher Umbauten immer diverser geworden. Als grösster Nachteil sollte sich die Höchstgeschwindigkeit von nur 125 km/h herausstellen, welche für die immer mehr auf 160 km/h ausgebauten Strecken zu tief war. Lediglich die 47 in den Jahren 1986-97 bei Pafawag Wrocław gebauten EP09 sowie die neun EP08 aus den 1970er-Jahren konnten 160 km/h schnell fahren. Von 69 Dieselloks waren 50 solche der Bauart SM42 «Stonka» («Kartoffelkäfer»), mit 90 km/h Höchstgeschwindigkeit auch keine Raketen – die übrigen 19 SM45 waren zudem mit Baujahren 1972-1976 bereits über 30-jährig! Da waren auch die 10 noch 2008 bestellten EU44 «Husar» (Siemens Eurosprinter / Taurus) nur ein Tropfen auf den heissen Stein, zumal die Zweisystemloks schon mit den Zügen nach Deutschland und Tschechien weitestgehend ausgelastet sind.
Die folgenden Jahre waren hauptsächlich geprägt von stark sinkenden Fahrgastzahlen – von 52 Millionen 2009 auf noch knapp 25 Millionen im Jahr 2015. Davon betroffen waren insbesondere die von PR übernommenen Verbindungen, welche vielfach mit veraltetem Material über schlecht ausgebaute Linien führten – gleichzeitig wurde der Luftverkehr günstiger, und der rasche Ausbau des Autobahnnetzes ermöglichte schnelle Fernbusverbindungen, womit auch den klassischen IC-Verbindungen auf Hauptrouten starke Konkurrenz erwuchs. Schon im zweiten Jahr nach der Übernahme endete ausserdem ein Wintereinbruch im Dezember 2010 in einem so grossen Chaos, dass die gesamte Führungsriege ausgewechselt wurde. Die neue Leitung arbeitete sich rasch ein und brachte verschiedene Neuerungen politischer und betrieblicher Art auf Kurs:
Die begonnene Eingliederung der ehemaligen PR-Züge in das TLK-Netz wurde Ende 2011 abgeschlossen, schon per 1.1.2011 wurde die Gattung umbenannt in «Twoje Linie Kolejowe» (Deine Bahnlinien) – die seit 2009 abgeschaffte Reservierungspflicht in der 2. Klasse wurde schrittweise wieder eingeführt und gilt seit 2013 auf allen Verbindungen ausser Warszawa–Łódź.
Ebenfalls 2011 konnte ein Vertrag mit dem Infrastrukturministerium abgeschlossen werden, der die Subventionierung vieler unrentabler Verbindungen auf Tangentiallinien und in Randregionen umfasste. Trotzdem wurden diverse Zugläufe aufgehoben, da schlicht keine genügende Nachfrage erkennbar war.
Die in den Nullerjahren fast zum Erliegen gekommene Modernisierung des Fahrzeugparks wurde ausserdem, mit massiver finanzieller Unterstützung durch die EU-Fonds, wieder aufgenommen. Die 2009-2012 mit 14 Wagen hauptsächlich für den internationalen Verkehr gestartete Lieferung von neuen UIC-Z1-Wagen durch FPS wurde ebenso weitergeführt, wie die Beschaffung neuer Triebzüge für den TLK- und EIC-Verkehr angegangen wurde. Da parallel massiv in die Strecken investiert wurden, sollten sich die Reisezeiten auf wichtigen Verbindungen ab 2014 massiv verkürzen.
Bis dahin machte der Firma aber, nach dem zunehmenden Auto-, Fernbus- und Flugverkehr, eine weitere Konkurrenz zu schaffen: Die teilprivatisierte Regionalbahn PR blieb nämlich auch nach der Abgabe des bisherigen Fernverkehrs an PKP IC in diesem Segment tätig und führte mit dem InterRegio eigene billige (und teils durch die Regionen querfinanzierte) Fernverkehrszüge sowie mit dem RegioExpress RE eine hochwertige Fernverkehrsverbindung ein, welche dem teureren IC-Verkehr stark zu schaffen machte.
Ab 2014: Der Turnaround
Wirklich bezahlt machten sich die Investitionen nicht sofort. Ab dem Dezember 2014 konnte man jedoch die ersten Früchte der Arbeit ernten. Mit 20 durch Alstom gelieferten Pendolino-Zügen der Bauart ED250 wurde die neue Zugsgattung Express Intercity Premium (EIP) eingeführt und der Verkehr auf den fast durchgehend modernisierten und für 160-200 km/h ertüchtigten Linien Gdynia–Warszawa–Kraków, Warszawa–Katowice und Warszawa–Wrocław wurde vertaktet und deutlich beschleunigt.
Gleichzeitig starteten unter der reaktivierten Bezeichnung IC auf der Strecke Przemyśl–Wrocław–Poznań–Szczecin die ersten aus komplett modernisierten UIC-Y-Wagen gebildeten Züge, welche auf dieser Strecke die bisherigen TLK-Züge weitgehend ablösten. Die Züge umfassen nebst klassischen Speise- und Abteilwagen auch Grossraumwagen mit Velo- oder Rollstuhlabteil; an der Modernisierung der 68 Wagen waren mit Newag, PESA, ZNTK und der omnipräsenten FPS alle namhaften Hersteller des Landes beteiligt, was allerdings auch zu erheblichen Unterschieden etwa punkto Innendesign führte. Das Programm wurde 2015 mit 150 Wagen einer 2. Serie weitergeführt, wobei diesmal PESA und ZNTK im Konsortium arbeiteten; die beliebten Grossraumwagen des Typs 168A, für welche Newag die Lizenz besitzt, konnten daher nicht mehr weiter beschafft werden. Erstmals sind dafür auch «lange» UIC-Wagen mit umgebaut worden – nebst Zweitklasswagen wurden auch Liegewagen vom Typ 134Aa umgebaut, letztere erhielten auch rollstuhlgängige Abteile. Getreu dem entsprechenden Finanzierungsvertrag mit der EU werden auch sie auf dem südlichen West-Ost-Korridor eingesetzt, wobei die Einsätze auch auf Direktdurchläufe zu anderen Strecken ausgedehnt wurden.
Allerdings fällte man im Dezember 2014 auch einen unpopulären Entscheid: Auf den Fahrplanwechsel wurden die Speisewagen aus allen TLK-Zügen gestrichen (und nur noch in den schnellen EIC/EIP sowie den neuen IC-Verbindungen belassen). Dies ermöglichte die weitgehende Ausrangierung der noch rund 100 eingesetzten Barwagen der Bauart 113A, deren Gesamtzustand sich ebenso wie der der Ende 2015 ebenfalls weitgehend abgestellten Liegewagen 110A stark verschlechtert hatte.
Seit 2013 wurde auch auf Dieselstrecken eine zögerliche Modernisierung eingeleitet: Die 10 neuen Diesellokomotiven vom Typ SU160 «Gama» des polnischen Herstellers PESA sollten neu bis zu 160 km/h erreichen – für die vielen nur saisonal verkehrenden Diesel-Linien wurden 20 der in den 60er-Jahren für den Rangier- und leichten Güterverkehr entwickelten Dieselloks vom Typ SM42 («Stonka») totalrevidiert und mit neuer Antriebstechnik versehen – darunter 10 SM42-10 mit zwei Motoren und Zugheizung sowie 10 einmotorige SM42-30/31 ohne Zugheizung für den Rangierbetrieb, welche aber auch mit Sommersaisonzügen an der Ostsee zum Einsatz kommen. Allerdings reichen Gamas und Stonkas bei weitem nicht für alle ganzjährigen Dieselleistungen aus, und so werden seit mehreren Jahren dauerhaft auch tschechische «Taucherbrillen» der Bauart 754 an die PKP IC vermietet.
2015 bis heute: Es geht wieder aufwärts.
Im Jahr 2015 konnte, wohl auch dank der neuen Angebote, erstmals wieder eine positive Fahrgastentwicklung registriert werden, was nicht zuletzt auch die Möglichkeit brachte, nach Jahren des Abbaus wieder zusätzliche Strecken in das Angebot aufzunehmen. Gefördert wurde das nicht zuletzt durch die in diesem Jahr neu gewählte, rechtspopulistische Regierung: Ein wichtiges Wahlversprechen der Regierungsparteien war nämlich die bessere Versorgung der ländlichen Räume, wo die katholisch-konservative Stammwählerschaft dieser Parteien zuhause ist. Offiziell unabhängig davon wurde bei PR der Entschluss getroffen, die günstigen IR-Fernverkehrszüge ersatzlos zu streichen – nur zu gern übernahm man bei PKP IC per Dezember 2015 die attraktiven Fahrlagen dieser Züge und freute sich über die unverhofft weggefallene Konkurrenz.
Rollmaterial dafür wurde dank der Lieferung zweier weiterer Serien an neuen Zügen frei: Die 20 Stadler-Flirt ED160 (in 150-Meter-Fernverkehrsversion) wurden für die Nord-Süd-Tangentialverbindungen über Łódź, die Verbindung Warszawa–Bydgoszcz sowie die neue IC-Verbindung von Olsztyn über Warszawa und Kielce nach Kraków beschafft. 20 bezüglich Abmessungen und Leistungsdaten fast identische ED161 «Dart» des polnischen Herstellers PESA für den West-Ost-Verbindungen ab Białystok bzw. Lublin nach Katowice und Wrocław sowie zur Verstärkung der «Rennstrecke» Warszawa – Łódź zum Einsatz. Beide Triebzüge ermöglichten erstmals auch auf schwächer frequentierten Relationen zeitgemässen Komfort und stellten ausserdem viele ältere Wagen für neue Verbindungen frei.
Aufgrund der lange vernachlässigten Wartung der Flotte kam es allerdings auch beim robusten Altmaterial zu vermehrten Ausfällen. Zusätzliche Modernisierungsprogramme wurden deshalb in die Wege geleitet, um das zwischenzeitlich gesetzte Ziel, bis 2025 auf unklimatisiertes Rollmaterial zu verzichten, zu erreichen. Von 2017 bis 2019 wurden erneut 46 UIC-Y-Wagen klimatisiert und modernisiert, diesmal für das ganze Streckennetz verwendbar – ebenso 36 UIC-Z-Wagen, wobei unter anderem ältere Sitzwagen in neue Speisewagen umgebaut wurden, um solche wieder vermehrt anbieten zu können. Erstmals erhielten nun auch Umbauwagen das bisher ausschliesslich auf neu gebauten Z1-Wagen angewendete überarbeitete Aussendesign mit schwarzem Fensterband.
2017 wurde auch bereits der nächste Grossauftrag vergeben: Gleich 335 Fahrzeuge sollten ab 2018 bis 2020 total ausgekernt und saniert werden. Dazu gehörten nebst 90 Abteilwagen 2. Klasse gleich mehrere neue Bauarten: 60 gemischtklassige Abteilwagen (um auch in kurzen Zügen die ab Dezember 2015 schrittweise verschwundene 1. Klasse anzubieten), 125 Grossraumwagen ohne Spezialabteil sowie 60 neuartige Combi-Wagen mit Verpflegungs- und Familienabteil, Veloabteil und Rollstuhllift. Bis auf letztere sind von allen Bauarten die ersten Fahrzeuge in Betrieb – und vermögen zu überzeugen: Nicht zuletzt dank der Verwendung von neuen, modernen Drehgestellen, die im Gegensatz zu den bisher auch unter allen modernisierten UIC-Y laufenden klotzgebremsten Monobloc-Drehgestellen endlich auch eine zeitgemässe Laufruhe bieten!
In Zukunft werden die Programme weiterlaufen: Denn das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Im Gegenteil: Nach dem laufenden Programm mit 335 Wagen ist noch kein weiteres fixiert, und die Lieferung von zwölf weiteren Flirt-Triebzügen, 2019 in Auftrag gegeben, ist ein Tropfen auf den heissen Stein: Im Fahrplan 2020 werden erstmals im grossen Stil uralt-Wagen der tschechischen und slowakischen Staatsbahnen eingesetzt – die ambitionierten Angebotsausbauten können mit eigenen Fahrzeugen nicht gedeckt werden! Auf Triebfahrzeugseite sollen die 30 bestellten Elektro-Loks des Typs PESA Gryffin eine Verbesserung bringen – der für 160 km/h zugelassene Fahrzeugpark soll sich mit deren Lieferung gleich um die Hälfte vergrössern!
Als neuste Errungenschaft wurde im Herbst 2019 ausserdem die Modernisierung der 14 Triebzüge der Bauart ED-74 vergeben: Diese 75 Meter langen Züge wurden 2004 für die Strecke Warszawa – Łódź an PR abgeliefert, gelangten 2008 zu PKP IC und wurden seither aufgrund ihres schlechten Komfortes und Problemen bei der Mehrfachtraktion immer weniger eingesetzt: Seit 2013 sind nur noch sporadisch Züge im Einsatz, und ab 2014 unternahm man grosse Anstrengungen, um die teils seit Jahren abgestellten Züge anderen Betreibern schmackhaft zu machen. 2017 beschloss man dann, die Fahrzeuge trotzdem zu reaktivieren, wobei die nun 2019 nach mehreren Anläufen vergebenen Arbeiten gemäss polnischen Medien teurer sind als die Beschaffung gleichwertiger neuer Züge. Sie werden vor allem auf schwach frequentierten Tangentiallinien eingesetzt.
Fahrplangestaltung: Alles im Fluss!
Diese Tangential- und Nebenlinien sind es auch, welche den polnischen Fernverkehr bisweilen sehr kurzlebig machen. Nach zögerlichen Anfängen konnte sich in Polen so etwas wie ein Taktfahrplan hauptsächlich auf den EIP-Linien sowie im Vorortsverkehr etablieren, der Fernverkehrsfahrplan ist aber immer noch sehr stark ein «Fahrplan nach Mass». Nicht weniger als sechs Fahrplanperioden umfasst das Fahrplanjahr, und die entsprechenden Fahrpläne, die vom ursprünglichen Jahresfahrplan durchaus abweichen, werden relativ kurzfristig publiziert. Dabei können auch mal Anfangs Jahr angekündigte Züge nicht eingeführt werden – oder Umleitungen aufgrund Baustellen ansonsten funktionierende Reiseketten durchbrechen. Auch Züge mit gleichem Start- und Endbahnhof können unterschiedliche Bahnhöfe bedienen oder andere Strecken nehmen, um auch Kleinstädten an Nebenlinien zumindest einen täglichen Fernverkehrshalt anzubieten.
Als Aussenstehender glaubt man, bei solchen Strecken ein gewisses «Try-and-Error»-Prinzip zu erkennen: Gewisse Linienführungen werden schon nach einem Jahr wieder aufgegeben, oder Durchbindungen von Zügen über die Grossen Knoten von Warszawa, Wrocław oder Poznań hinaus jährlich neu zusammengewürfelt. Oftmals sind aber auch Bauarbeiten und die dadurch verursachten Zeitverluste und Kapazitätsengpässe Grund für solche Umleitungen: So fahren etwa derzeit zahlreiche Fernverkehrsverbindungen (und insbesondere die meisten Saisonverbindungen) zwischen Wrocław und Szczecin über die so genannte «Nadodrzanka» (Oderbahn) vorbei an den Städten Glogów, Zielona Góra und Kostrzyn anstatt über das grössere Poznań, weil die Kapazität zwischen Poznań und Szczecin aufgrund laufender Ausbauarbeiten stark beschränkt ist. Bisweilen werden Strecken für die dringend notwendige Modernisierung auch komplett gesperrt, etwa zwischen Warszawa und Lublin, wo für rund zwei Jahre der gesamte Fernverkehr über Łuków und eine nicht elektrifizierte, reaktivierte Nebenlinie umgeleitet wurde. Im Zuge dieser Politik gelangen einige Ortschaften unverhofft zu einem Fernverkehrsanschluss, der manchmal dauerhaft ist, in anderen Fällen aber nach einigen Jahren auch genauso schnell verschwindet, wie er gekommen ist.
Wie es – auf Neben- wie auch auf Hauptlinien – weitergeht, dürfte nicht zuletzt auch von der politischen Entwicklung im Land abhängen – die derzeitige massive Förderung hat denn auch weniger wirtschaftliche oder ökologische, als vielmehr regional- und machtpolitische Gründe. Ob diese im Falle eines Regierungswechsels – sogar parteiintern – noch zählen werden, steht in den Sternen.
- Heiko Metzger für die zahlreichen Bilder und Hintergrund-Infos sowie für das kritische Auge.
- Den weiteren Gastfotografen für die Erlaubnis, ihre wunderbaren Aufnahmen von den für mich als nicht-Autofahrer schwer zugänglichen polnischen Nebenlinien verwenden zu dürfen. Mehr von ihnen finden Sie auf flickr: Arkadiusz Niedbała, Marcin Kucięba, Maciej Malec.
- Kurt Schaufelberger fürs Gegenlesen.
- …und natürlich meinen Mitredaktoren, die mit diesem doch recht langen Bericht auch einiges zu verarbeiten hatten.
Die mit Abstand häufigste Lok-Baureihe in Polen sorgt mit ihrer Nummerierung gelegentlich für Verwirrung. Folgende Fakten tragen zu einem besseren Durchblick ein.
Es wurden drei Lokserien erbaut:
- 1. Serie: Lokomotiven EU07-001 bis EU07-240, 1965-74 durch Pafawag Wrocław (Lizenz von English Electric) unter der Werksbezeichnung 4E erbaut.
- 2. Serie: Lokomotiven EU07-301 bis EU07-545, 1983-94 durch Cegielski Poznań unter der Werksbezeichnung 303E erbaut und gegenüber der 1. Serie mit einigen technischen Verbesserungen ausgestattet. Optisch durch die gesickten Seitenwände von der 1. Serie zu unterscheiden.
- Vier Lokomotiven EP08-002 bis EP08-005 mit geändertem Getriebe für 140 km/h, 1972 im Anschluss an die EU07 der 1. Serie geliefert und 1976 (nach Lieferung der Serienloks EP08-008 bis EP08-015) zu EU07-241 bis EU07-244 umgebaut.
Die Loks wurden in verschiedenen Serien modernisiert und teilweise umgezeichnet:
- 97 EU07 erhielten zwischen 1995 und 2003 eine geänderte Übersetzung, um die Störanfälligkeit bei hohen Geschwindigkeiten zu reduzieren. Sie wurden in EP07 umgezeichnet, behielten aber ihre ursprüngliche Ordnungsnummer.
- 74 EU07 wurden an PR verkauft; dabei erhielten sie im Rahmen von Hauptrevisionen die Nummern EU07-1001 bis EU07-1074. Ein Teil der Maschinen gelangte später wieder zu PKP IC.
- 3 EU07 wurden 2011 bzw. 2014 zu EU07A umgebaut, wobei die gesamte Elektrik und Antriebstechnik ersetzt wurde.
- Weitere Maschinen fahren heute bei PKP Cargo und bei Privatbahnen in unterschiedlichen Modernisierungsstufen.
Zwei Besonderheiten des polnischen IC-Verkehrs sind hier zu nennen:
- Die Zugnummern umfassen pro Lauf immer eine gerade und eine ungerade Variante, welche im Verlauf der Fahrt mehrmals wechselt: Die ungerade gilt, wenn der Zug gerade Richtung Warschau fährt, die gerade, wenn er sich von der Hauptstadt entfernt. Bei Gegenzügen sind die ersten beiden Ziffern vertauscht: So fährt Zug 1608 von Warschau nach Wrocław, während Zug 6109 in Gegenrichtung unterwegs ist.
- Sämtliche Züge von PKP IC (und auch zahlreiche langlaufende PR-Züge) haben einen Namen, der oft lokal verankert ist. Aufgrund der oft wechselnden Durchbindungen und Laufwegen der Züge wechselt die Zuordnung Nummer – Name – Laufweg aber relativ oft, bisweilen sogar mehrmals jährlich. Deshalb geben wir in diesem Artikel stets auch das Aufnahmejahr an.
Folgende Firmen sind für das Verständnis des Artikels relevant:
Pafawag Wrocław: Państwowa Fabryka Wagonów (Staatliche Wagenfabrik), 1945 aus dem früheren Werk Breslau der Linke-Hofmann-Busch hervorgegangen und insbesondere im Lokomotiv- und Triebzugbau tätig. Die Fabrik wurde 1997 von Adtranz (heute Bombardier) übernommen.
FPS Poznań: Hervorgegangen aus dem traditionsreichen Unternehmen H. Cegielski Poznań (HCP), wobei der Schienenfahrzeugbau nur ein Teil der grossen Maschinenfabrik darstellte. Heute ist die «Fabryka Pojazdów Szynowych» (Schienenfahrzeugfabrik) eine Tochtergesellschaft der nach dem Kommunismus reprivatisierten HCP.
PESA Bydgoszcz entstand nach dem Ende des Kommunismus aus einer seit den 1850er-Jahren bestehenden Hauptwerkstätte. 1995 im Rahmen eines «Management Buyouts» aus der PKP herausgekauft, produziert die Firma seit der Jahrtausendwende auch neue Züge und Trams. Seit 2017 gehört die Firma fast vollständig einem staatlichen polnischen Entwicklungsfonds, welcher mit diesem «Einkauf» die Firma vor dem drohenden Konkurs rettete. Ebenfalls Teil der Gruppe ist ZNTK Mińsk Mazowicki, ebenfalls eine ehemalige Hauptwerkstätte und heute vor allem im Bereich der Fahrzeugmodernisierungen tätig.
Dasselbe gilt auch für NEWAG aus Nowy Sącz; diese ehemalige «ZNTK» (Hauptwerkstätte) baut heute ebenfalls auch neue Triebzüge, etwa den erfolgreichen «Impuls» als Flirt-Derivat, und war auch an der Endmontage von Stadler-Fahrzeugen beteiligt. Daneben werden weiterhin ältere Fahrzeuge modernisiert.
Jonas Schaufelberger
Jonas Schaufelberger ist Mitgründer von ÖV Panorama und wohnt in Rapperswil-Jona. Er beschäftigt sich beruflich und in der Freizeit mit dem öffentlichen Verkehr und dokumentiert mit seiner Website www.postautohalter.info seit 2009 Fahrzeuge und Linien des "gelben Riesen". Daneben liegt sein Schwerpunkt auf dem Überland-Busverkehr in der Schweiz, wobei er (wie auch bei seinen gelegentlichen fotografischen Exkursen nach Nord- und Osteuropa) stets per ÖV oder zu Fuss unterwegs ist.