Auch nach mehreren Ausschreibungen fahren in Bratislava ausschliesslich Trams aus tschechischer Produktion – und man setzt auch im Trolleybusverkehr stark auf Produkte aus dem Nachbarland.
Ein Bericht von Jonas Schaufelberger (Text und Fotos).
Schon lange ist Bratislava an der Donau die grösste Stadt der Slowakei – aber erst seit der friedlichen Aufteilung der Tschechoslowakei am 1.1.1993 und der erstmaligen Gründung einer souveränen Slowakei ist Bratislava auch Hauptstadt. Mit nur rund 500’000 Einwohnern ist sie nicht nur mit Abstand die kleinste Hauptstadt der vier Visegrad-Staaten, sondern auch nur rund ein Viertel so gross wie das benachbarte Wien.
Dies zeigt sich auch am Nahverkehrssystem: In der Stadt gibt es weder eine Metro noch eine ernstzunehmende S-Bahn. Erstere wurde in den Endjahren der kommunistischen Tschechoslowakei zwar aktiv geplant, und es kam sogar zum Baubeginn im Jahr 1988; letztere scheitert vor allem am Schienennetz, das einen grossen Bogen um die Innenstadt macht.
Das Tramnetz: Ausbau in drei Wellen
Der Träger des städtischen Nahverkehrs ist das Tram. Bereits im August 1895 – damals noch unter österreichisch-ungarischer Führung – wurde die erste elektrische Tramlinie in der Stadt eingeführt. Das Netz wuchs rasch, bereits in den 1920er-Jahren mit Aufkommen des Busverkehrs kam es aber zu ersten Streckenstilllegungen: Schwächere Linienäste konnten nun auch durch das kostengünstigere Verkehrsmittel bedient werden. Parallel wurden aber nach wie vor neue Tramlinien gebaut, etwa zur Villa Lafranconi an der Donau.
Einen regelrechten Aufschwung erlebte das Tramnetz dann in den 1970er- und 1980er-Jahren. Nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn am Ende des Ersten Weltkriegs war die Stadt nun, mit einem diktatorischen Intermezzo im Zweiten Weltkrieg, Teil der Tschechoslowakei, welche seit dem Zweiten Weltkrieg kommunistisch organisiert war. Der Bau neuer Grosssiedlungen erforderte auch deren Erschliessung, und nach den Ölkrisen der 1970er-Jahre war das elektrische Tram das Mittel der Wahl. Zwischen 1966 und 1989 wurden mehrere Neubaustrecken in Betrieb genommen, darunter auch der Tram-Tunnel unter der Burg – letzterer, obschon parallel bereits mit dem Bau einer U-Bahn durch das Stadtzentrum zwischen dem Hauptbahnhof und dem südlichen Vorstadtbahnhof (und wichtigen internationalen Fernverkehrshalt) Petržalka begonnen wurde.
Diese U-Bahnpläne waren wohl auch der Grund, warum die 1961 definitiv eingestellte Tramlinie nach Petržalka trotz grosser Pläne – der Stadtteil sollte als eigentliche Mustersiedlung bis zu 500’000 der geplanten 2 Millionen Einwohner der Stadt direkt am Tor zum Westen beherbergen – nie reaktiviert wurde. Erst im Juli 2016 wurde der Stadtteil wieder mit einer Tramlinie angebunden – seither (und noch mindestens bis im Dezember 2024) endet diese allerdings an der Haltestelle Jungmannova noch rund einen Kilometer vom Bahnhof Petržalka entfernt. Es handelt sich hier eher um eine Stadtbahn – die neuen Abschnitte verlaufen auf komplett strassenunabhängigem Eigentrasse, und die Endhaltestelle ist ohne Wendeschlaufe ausgeführt, was den Einsatz von Zweirichtungsfahrzeugen erfordert.
Der Trolleybus als zweiter Hauptverkehrsträger
Mitten im Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1941, gelangten in der Stadt an der Donau zum zweiten Mal Trolleybusse in den Einsatz – bereits von 1909 bis 1915 wurde, vor allem für den Ausflugsverkehr und damals noch als «gleislose Bahn» bezeichnet, eine einzelne Linie nach Eisenbrünnl betrieben. Der zweite Versuch war wesentlich erfolgreicher, wurde doch bis in die 1950er-Jahre ein ansehnliches Netz von Trolleybuslinien errichtet und dafür auch Schweizer Fahrzeuge angeschafft, wobei ein von FBW, Tüscher und MFO gebautes Fahrzeug bis heute als historischer Wagen existiert. In den 1960er-Jahren wurde diese Entwicklung durch das Aufkommen günstigerer Autobusse stark gebremst, einzelne Linien wurden sogar auf Autobus umgestellt – die Ölkrise in den 1970er-Jahren führte jedoch zu einem Umdenken und zu einem erneuten Ausbau des Trolleybusnetzes, welches das parallel wachsende Tramnetz auf schwächeren Achsen ergänzte. Seither wird das Netz regelmässig ergänzt, wobei zuletzt die Fördergelder der europäischen Union die Entwicklung beschleunigten.
Die heutigen Netze
Heute besteht das Tramnetz noch aus fünf Linien – bis 2012 existierten deren 14, wobei sich auf praktisch allen Abschnitten mindestens zwei, oft noch mehr Linien überlagerten. Diese Linien wurden 2012 in einer Neugestaltung auf acht reduziert (und kurze Zeit darauf wieder auf neun erhöht), die dafür alle im gleichen Takt fuhren; 2019 wurden vier weitere Linien eingestellt und dafür auf den meisten verbliebenen Linien der Takt verdichtet – in der Hauptverkehrszeit morgens fahren heute alle verbliebenen Linien mit den Nummern 1, 3, 4, 7 und 9 im 4-Minuten-Takt, tagsüber je nach Linie alle 5, 7.5 oder 10 Minuten.
Das Trolleybusnetz verlor im Jahr 2021 seine bis dahin üblichen 200er-Nummern: die heutigen zweistelligen Nummern sind in das Schema der innerstädtischen Autobuslinien integriert. Die erste der beiden Ziffern verweist jeweils auf den hauptsächlich erschlossenen Stadtbezirk, die zweite wurde nach Möglichkeit von den früheren 200er-Nummern übernommen. So bestehen heute 12 Trolleybuslinien, welche ein Netz von 107 Kilometern Länge bedienen – im Gegensatz zum Tram allerdings oftmals in deutlich schwächerem Takt.
Trams aus Tschechien…
Die Fahrzeuge stammen auf beiden Netzen fast ausschliesslich von Herstellern aus Tschechien. Auf dem Tramnetz dominieren heute die modernen Trams der Bauart Škoda Forcity Plus – unter der Bezeichnung Škoda 29T wurden in zwei Serien 2015/2016 und 2023/2024 insgesamt 50 dieser Gelenkwagen abgeliefert, die auf den Linien 1, 4 und 9 zum Einsatz kommen. Sie werden ergänzt durch 40 Zweirichtungswagen der Bauart 30T, welche zwingend die als Zweirichtungs-Stadtbahn gebaute Linie 3 komplett abdecken und daneben auch auf den anderen Niederflur-Linien eingesetzt werden – auch diese wurden in zwei Serien 2015-2016 und 2024 abgeliefert. Die Fahrzeuge wurden im tschechischen Plzeň gebaut.
Die noch vorhandenen älteren Trams entstammen ebenfalls vollständig tschechischer Produktion – allerdings bei Weitem kein Alleinstellungsmerkmal der Slowaken, lieferte ČKD Tatra aus Prag-Smichov doch ihre Trams an alle kommunistischen Staaten Europas mit Ausnahme von Polen. Die ältesten noch vorhandenen Trams entsprechen dem Typ T3, mit knapp 14’000 gebauten Exemplaren eine der meistgebauten Trambauarten der Welt. Gegen 200 dieser Fahrzeuge wurden zwischen 1964 und 1989 an die städtsichen Verkehrsbetriebe Bratislava abgeliefert, wovon nach einer letzten Welle von Ausrangierungen 2023/2024 aktuell noch 24 Fahrzeuge im Einsatz stehen. Die Trams kommen heute vor allem noch auf der Linie 4 und dort insbesondere auf den «kurzen» Kursen zum Bahnhof Nové Mesto zum Einsatz – wobei die meisten noch eingesetzten Fahrzeuge in den 1990er- und 2000er-Jahren unter Einbau einer Thyristor-Steuerung modernisiert wurden.
Ebenso modernisiert wurden die meisten der insgesamt 89 Gelenktrams der Bauart K2 – am augenfälligsten ist dies bei den neun Gelenktrams der Bauart K2S, welche 2007-2009 neue Fronten und Antriebstechnologie erhielten, aber den Rest ihrer Untergestelle und Kästen behielten. Im Einsatz stehen noch rund 20 Tatra-Gelenkzüge – sie verdichten aktuell insbesondere die Linie 1 in den Hauptverkehrszeiten, wofür allerdings meist die 9 K2S ausreichen.
Praktisch im Originalzustand befinden sich hingegen die T6A5-Trams – die zwischen 1991 und 1997 gebauten 58 Vierachser decken heute Teile der Linie 4 sowie üblicherweise die gesamte HVZ-Linie 7 ab, Abweichungen von diesem Schema kommen je nach Verfügbarkeit und bei Grossanlässen vor. Auch diese Tramserie ist mit der Lieferung von 30 weiteren Forcity seit 2023/2024 nicht mehr voll ausgelastet.
…und im Trolleynetz
Auch die Trolleybusse stammen grossmehrheitlich von Herstellern in Tschechien. Für Osteuropa durchaus typisch ist die Mischung von Standard- und Gelenktrolleybussen. Škoda aus Plzeň zeichnet auch hier bei einer Mehrheit der Fahrzeuge verantwortlich – baut allerdings keine eigenen Bus-Chassis und -Karosserien mehr.
Die grösste Serie von Trolleybussen sind aktuell die 2013-2015 gelieferten 50 Standard- und 70 Gelenktrolleys der Bauarten 30Tr bzw. 31Tr, welche auf Fahrzeugen des tschechischen Herstellers SOR aufbauen. Zwar werden seit 2024 ebenfalls erste Fahrzeuge mit Defekten abgestellt, noch tragen die Fahrzeuge aber die Hauptlast auf den meisten Trolleybuslinien – mit zwei Ausnahmen:
Für die Hochleistungs-Linie 71 im Norden der Stadt werden seit 2023/2024 16 Doppelgelenk-Trolleybusse der Bauart Solaris Trollino 24 (allerdings ebenfalls mit elektrischer Ausrüstung von Škoda) eingesetzt – und 11 Standard-Trolleybusse der Bauart SOR TNS12 mit leistungsfähiger Batterie ermöglichen die Einbindung der Linie 44 über einen fahrleitungslosen Abschnitt in den Hauptbahnhof.
Die Gelenktrolleybusse werden ausserdem durch 23 2023/24 gelieferte Škoda 27TrA ergänzt, die Fahrzeuge haben ältere Škoda-Trolleybusse ersetzt. – auch hier bleibt also ein wesentlicher Teil der Fertigung in tschechischer Hand.
Die weiteren Aussichten
Die Inbetriebnahme der Tram-Verlängerung nach Petržalka ist aktuell die letzte Netzentwicklung im Trambereich – wie viele Städte in Osteuropa weist die Stadt in den letzten Jahren wenig tram-würdiges Wachstum gegen aussen auf und der Trolleybus als kostengünstige Alternative ist in der Stadt gut etabliert. Diskutiert werden aktuell zwar eine zusätzliche Achse in der Innenstadt und eine Verlängerung ab Dúbravka in die Agglomeration, beide Projekte sind aber derzeit nicht spruchreif.
Fahrzeugseitig stehen beim Tram Optionen für 20 weitere Zweirichtungstrams in den Škoda-Auftragsbüchern – dies dürfte ausreichen, um die 24 meist in Doppeltraktion eingesetzten T3 und einige weitere K2 zu ersetzen. Auf absehbare Zeit dürften aber zumindest die inzwischen ebenfalls 30-jährigen T6 weiterhin im Einsatz zu sehen sein – auf der HVZ-Linie 7 oder im Mischbetrieb mit Niederflurfahrzeugen.
Ein sehr umfassendes Nachschlagewerk für Infos zum ÖV in zahlreichen slowakischen Städten – sowohl für Nutzer als auch für Interessierte – ist die Website http://www.imhd.sk. Ein Besuch darauf ist sehr empfohlen – für Bratislava finden sich auch Hinweise über die zum aktuellen Zeitpunkt auf jedem Kurs eingesetzten Fahrzeuge.
Jonas Schaufelberger
Jonas Schaufelberger ist Mitgründer von ÖV Panorama und wohnt in Rapperswil-Jona. Er beschäftigt sich beruflich und in der Freizeit mit dem öffentlichen Verkehr und dokumentiert mit seiner Website www.postautohalter.info seit 2009 Fahrzeuge und Linien des "gelben Riesen". Daneben liegt sein Schwerpunkt auf dem Überland-Busverkehr in der Schweiz, wobei er (wie auch bei seinen gelegentlichen fotografischen Exkursen nach Nord- und Osteuropa) stets per ÖV oder zu Fuss unterwegs ist.